Vielleicht kennst du das: Beim Streifzug durch die Buchhandlung am Bahnhof findet man tonnenweise spannende Bücher.
Das einzige Problem: Wenn sich die männliche Hauptfigur doch mal in einen anderen Mann verlieben soll? Fehlanzeige.
Mit meinen Romanen will ich diese Lücke schließen: Action und Boys Love in Einem!
❤️💛💚💙💜
Roman (2019): Boys Love | Krimi | Action
1 Band (abgeschlossen)
Empfohlen ab 18
Kyle Lewis führt ein gefährliches Doppelleben: Auf der einen Seite ist er normaler Kassierer in einem Shoppingcenter, der den Tag lieber mit seinen Gedanken verbringen würde, als mit Kunden, die
ihre Luxusgegenstände kaufen. Auf der anderen Seite arbeitet er als Geheimagent beim MI6.
Eines Tages bekommt er den Fall 'Irina Iwanowna' vorgelegt - eine junge Frau, die damals mit ihren Eltern nach Russland kam und nun befürchtet in Gefahr zu sein. Kyles Chefin ist der Meinung,
dass russische Gangster dahinter stecken und setzt ihn kurzerhand auf das Problem an.
Für Kyle kein Problem, wäre da nicht so viel Ablenkung durch den gut aussehenden Weihnachtsmann im Shoppingcenter, der täglich dort sitzt und nicht nur den Kindern die Wünsche von den Lippen
abliest, sondern auch Kyles...
Mein Leben war gut. Es war erträglich, so wie eigentlich jedes Leben. Es gab Höhen und Tiefen – meistens eher Tiefen, bei denen man sich fragte, wann denn endlich der beschwerliche Weg nach oben kam, nur damit man sich schnell wieder in die nächste Misere fallen lassen konnte – doch es war in Ordnung. Wichtig waren die Konstanten. Die, an denen man sich festhalten konnte, wenn es unter den Füßen anfing zu bröckeln.
Ein guter Job war da schon mal ein Anfang. Die Definition ‚gut‘ würde naheliegen, dass mir der Job entweder enorm Spaß machte oder enorm viel brachte; sei es Geld oder Erfahrung oder was man sonst noch so als schlechte Ausrede nehmen konnte, wenn es nicht Geld war. In meinem Fall war es leider eine schlechte Ausrede. Zumindest zum Teil.
Ich hatte mehrere Ausbildungen genossen, von denen ich mich nur hätte entscheiden müssen, welche ich als meine Berufung ersehne. Nur leider hatte keine dieser Ausbildungen einen wirklichen Nutzen. Einen Doktor in Kunstgeschichte? Den habe ich eher aus Leidenschaft, als aus einem tieferen Nutzen gemacht. Master of Arts in englischer Literatur und Sprachwissenschaften? Vielleicht hätte ich an einer Schule oder Universität dozieren können. Leider habe ich im Zuge meines Studiums gelernt, alle anderen meiner Fachrichtung zu verachten. Psychologe? Der Abschluss ist schon so lange her – meine Ausbildung ist also dementsprechend eingerostet.
Während ich mit meinen gut gepflegten Fingernägeln auf dem Tresen trommelte, sinnierte ich über die wunderschöne Zeit, in der ich noch studierte. Insgesamt habe ich für alles nur 10 Jahre gebraucht. Letztendlich hat es mir nichts gebracht. Als Psychologe habe ich mich als gänzlich untauglich erwiesen; ich wurde nach spätestens einem Jahr immer gefeuert. Angeblich lag es an meiner herablassenden und exzentrischen Art. Als Dolmetscher wollte man mich nicht einstellen – ich sei überqualifiziert gewesen. Und na ja, über den Doktor in Kunstgeschichte muss man nicht sprechen. Den hatte ich ja sowieso nur aus Leidenschaft gemacht.
»Entschuldigen Sie«, unterbrach mich eine rundliche Frau mit Pelzkragen in meinen Gedankensträngen. Ihr Parfüm stach förmlich in meiner Nase und verätzte alles, was ich einmal zum riechen verwendet hatte. »Ist diese Kasse offen?«
»Würde ich sonst hinter dem Tresen stehen?«, fragte ich süffisant nach und bemühte mich um ein Lächeln. Mein Chef, der gerade eine Kundin nicht weit von mir entfernt beriet, schnappte das kurze Gespräch auf und warf mir einen vernichtenden Blick zu. Den bekam er sofort zurück.
»Ah, ja, nun«, stotterte die Pelzdame und hielt mir einen Arm voller Kleidung hin. »Das hier würde ich gerne zahlen.«
»Sehr gerne«, presste ich höflich aus meinen knirschenden Zähnen heraus, als ich die teuren Klamotten von ihrem Arm zog. Langsam begann ich die Etiketten zu scannen, während sie in ihrer Louis Vuitton Handtasche nach ihrem passenden Portemonnaie kramte. Sie war jung, blond und gemacht. Etwas zu viel Stereotype auf einmal für meinen Geschmack, aber ansehnlich.
Während ich ihre Geduld auf die Probe stellte, sah ich mich im Augenwinkel im Geschäft um. Wir waren ein zweistöckiges Luxuskaufhaus in einer Mall. Alles war weihnachtlich geschmückt, der Einzelhandel boomte förmlich und die Passanten liefen ausgelassen am Schaufenster vorbei. Noch, dachte ich. Kurz vor Weihnachten würden dann die Hamster-, Frust- und Last-Minute-Einkäufe stattfinden.
»Oh bitte passen Sie hier auf«, unterbrach mich erneut die Dame in meinen Gedanken und zupfte mir eine Bluse aus den Fingern. »Das ist Seide, können Sie das bitte separat einpacken? Ich habe Angst, dass das Seidenpapier, das Sie verwenden, abfärben könnte.«
Ich hobelte meine Zähne übereinander. »Also kein Seidenpapier, die Dame?«
»Bei den anderen Teilen schon. Es ist etwas feucht draußen.«
»Mhm«, brummte ich nickend, während ich an die Feuchte von draußen dachte.
Mein Chef sprach mit meiner einzigen Kollegin auf der Etage und warf mir immer wieder kontrollierende Blicke zu. Er traute mir nicht. Das war vielleicht auch gut so.
Ich packte alles vorsichtig ein, als die Dame erneut mit ihren gemachten Fingernägeln vor meinen Augen herumfuchtelte. »Bitte seien Sie doch vorsichtig, Sie zerdrücken das Kleid ja völlig!«
Mit einem lauten Seufzer ließ ich sie die Tasche vom Tresen ziehen und es selber ordnen. Ich tippte gelangweilt auf der Kasse rum und nannte ihr den vierstelligen Betrag. Sie reichte mir ihre Kreditkarte und begann auf ihrem Handy herum zu tippen. Hinter ihr bildete sich bereits eine kleine Schlange.
Meine Kollegin sprang dann neben mir ein und bediente schon einmal den nächsten Kunden.
Als die Pelzdame endlich ihre Sachen nahm und ich aufatmen wollte, drehte sie sich noch einmal um. »Wissen Sie zufällig, wo diese Weihnachtsaktion sein soll?«
Ich blinzelte einige Male. »Weihnachtsaktion… von wem?«
»Vom Center! Überall steht, dass es eine Aktion geben soll. Für Kinder hauptsächlich. Mit einem Weihnachtsmann.«
»Oh, die finden Sie im Erdgeschoss, gleich beim großen Weihnachtsmarkt neben dem großen Weihnachtsbaum«, griff meine Kollegin mit einer milden Form von Sarkasmus ein und deutete aus dem Schaufenster. Von ihrem Platz aus konnte man wohl mehr sehen, als von meinem. Ich sah nur einige Buden, mehr nicht. Und von einer infantilen Weihnachtsaktion hörte ich auch zum ersten Mal. Das sei allerdings dem Umstand geschuldet, dass ich sowieso selten irgendwem zuhöre, der nicht unbedingt etwas von mir möchte.
Die Kundin bedankte sich breit grinsend und verließ den Laden. Etwas genervt kümmerten wir uns dann noch um die restlichen Kunden, bis es langsam wieder etwas ruhiger wurde. Mittagszeit brach an – der Food Court würde nun aus allen Nähten platzen. Gut, dass ich mich hauptsächlich von Kaffee und gutem Wein ernährte.
»Wieder mal einen guten Tag heute, Kyle?«, sprach mich meine Kollegin an. Dabei zwirbelte sie ihr langes, glattes schwarzes Haar um den Finger.
»Ich habe nur gute Tage, Cindy«, antwortete ich monoton und starrte in den Laden. Überall hingen Luxusartikel, mehr oder minder hässlicher Natur. Schade, dass wir keine Herrenartikel führten – da hätte ich wenigstens etwas aus diesem miesen Job herausschlagen können.
»Wieso bist du überhaupt hier, wenn du es nicht magst? Du hast doch noch einen Zweitjob, oder? Mach doch den als Vollzeitbeschäftigung«, hakte meine liebe Kollegin nach und lehnte gegen ihre Kasse.
»Das geht leider nicht«, lächelte ich vorsichtig und nahm Augenkontakt auf. »Mein Zweitjob wirft nicht so viel ab, dass ich genug im Monat habe, um mein Rattenloch zu finanzieren.«
Da lachte Cindy laut auf und verdrehte die Augen. »Ich weiß aus sicherer Quelle, dass du in keinem Rattenloch wohnst.«
»Oh«, sagte ich gespielt überrascht und hob beide Augenbrauen, »wer ist diese Quelle? Wenn du sagst vertraulich, scheint dieser jemand in unserer näheren Umgebung zu sein. Etwa unser Chef?«
Cindy konnte sich kaum beruhigen. Mein trockener Witz schien sie unfassbar umgehauen zu haben. »Kyle, ich war letzten Monat bei dir zu Hause – in deiner noblen Luxuswohnung! Wir haben Wein getrunken?«
»Ah, ich erinnere mich«, murmelte ich gespielt nachdenklich und kratzte mich am Kinn.
»Tja«, zuckte sie mit den Schultern und ging wieder auf die Fläche. »So einen luxuriösen Lebensstil muss man sich erst mal leisten können. Ich bin froh, wenn ich mir Ende des Monats endlich die Handtasche kaufen kann.«
»Etwa die, die bei unserer Konkurrenz gleich nebenan steht?«
Sie zwinkerte mir zu. »Vielleicht?«
Damit ging sie zu einer Kundin, die mit Kind auf dem Arm durch die Gänge ging, um sie zu beraten. Mein Chef kam derweil zu mir.
»Mr. Lewis«, begann er mit seiner krächzenden Stimme, als würde er seit Wochen eine selbstverschriebene Zigaretten-Whiskey Diät durchziehen, »Flirten Sie wieder mit Mrs. Clark?«
»Würde mir nicht im Traum einfallen«, antwortete ich wahrheitsgetreu und zuckte mit den Mundwinkeln. Gelangweilt sah ich erneut durch das Schaufenster, während mein Chef sich neben mich stellte.
»Bitte seien Sie etwas freundlicher zu unseren Kunden. Sie werden immer gleich so… patzig.«
Da widersprach ich mit einem dramatischen Augenaufschlag. »Ich weise meistens nur auf das Offensichtliche hin, welches die Damenwelt oft so eloquent hinterfragt.«
Er runzelte bei meiner Wortwahl die Stirn. Ich konnte ihm ansehen, dass er in den tiefen seines Gehirns nach der Definition von ‚eloquent‘ suchte. Und sie offensichtlich nicht fand, da er das Gesprächsthema sofort fallen ließ. »Wie auch immer. Bleiben Sie einfach freundlich. Sonst muss ich Sie erneut in eine Schulung schicken.«
»Oh, vielen Dank, ich verzichte. Die Häppchen waren furchtbar«, murmelte ich vor mich hin, während ich leise Luft aus den Nasenlöchern entließ. Die Schicht würde nur noch bis 20 Uhr gehen. Nur noch mehrere Stunden Qual.
»Mr. Lewis«, mahnte mich mein Chef erneut mit seiner kratzenden Stimme und richtete dabei seine schlecht sitzende Krawatte. Wie er es auf den Posten geschafft hatte, war mir schleierhaft. Vermutlich war es sein rauchiger Charme, der ihn bei älteren Damen attraktiv wirken ließ. Oder einfach sein Alter – er schien dem Unternehmen seit mehr als 40 Jahren recht treu zu sein. »Das Center hat uns außerdem darauf angewiesen, die Kunden auf den Weihnachtsmarkt im Erdgeschoss aufmerksam zu machen. Wenn es also passt, bringen Sie es an.«
»Es passt nie«, verdrehte ich die Augen. »Niemand möchte auf den Weihnachtsmarkt. Es ist nicht mal wirklich ein Markt, es sind einfach nur lieblos aufgestellte Buden und ein auf Hälfte geschmückter Weihnachtsbaum, weil infantile Menschen sonst die Geschenke und die Dekoration von den Ästen klauen würden.« Als würde es nichts besseres im Leben geben mit Styropor ausgefüllte Geschenke in absolut hässlich glänzendem Geschenkpapier von einem großen Weihnachtsbaum zu klauen.
Mein Chef presste seine Lippen zusammen. »Ich erkenne erneut Ihre Abneigung zum Fest der Liebe, aber ich bitte Sie trotzdem inständig um eine Sache: Machen Sie auf den Weihnachtsmarkt aufmerksam. Mehr nicht.«
»Ich sollte doch auch freundlich sein, oder nicht? Das sind schon zwei Sachen.«
Das ließ ihn laut seufzen und langsam wieder seiner Wege gehen. »Machen Sie es einfach.«
Gott, wie ich diesen Job hasste.
Aber es war der einzige, den ich flexibel genug ausführen konnte, um den Schein eines normalen, mitten im Leben stehenden Mannes zu wahren. Zwar deuteten meine Kollegen und mein Chef mehrmals darauf hin, dass ich absolut überqualifiziert für den Job eines einfachen Kassierers sei (und mit Verlaub ihn auch noch furchtbar ausführte), dennoch fühlte ich mich ganz wohl, den Kopf für ein paar Stunden ausschalten zu können. Die Arbeit konnte hart sein, besonders vor Feiertagen oder generell am Wochenende, aber sie war nicht anspruchsvoll.
Das war sie in meinem anderen Job.
»Heute mal wieder ein guter Tag, Kyle?«, lachte mein Kollege zwinkernd, als er mich in meiner Arbeitskleidung im großen Besprechungsraum sitzen sah. »Kommst selten direkt von deinem anderen Job hierher. Ist das nicht etwas auffällig?«
Seine langen dunkelblonden Haare im Pferdeschwanz wackelten zu jedem imposanten Schritt, den er auf mich zukam. In der Hand hielt er einige Akten; sah nach einem neuen Fall aus.
»Wieso? Glaubst du, mir folgt jemand, weil ich so ein schickes Baumwollpolohemd mit der Aufschrift unseres Ladens trage?«, fragte ich sarkastisch, während ich meinen Kaffee trank. Der Tag war lang und anstrengend gewesen. Kunden, Chef, Weihnachtsmarkt. Alle machten für die restlichen Stunden nervige Geräusche.
»Ich sag ja nur«, zirpte Ethan, während er sich neben mich setzte und die Akte vor mir aufschlug. Er schälte sich aus seiner schwarzen Funktionsjacke und legte den Pistolengürtel ab, in dem seine geladene Waffe lag. Vermutlich wollte er mir nur wieder beweisen, dass er regelmäßig trainieren ging. Seine Muskeln waren in der Tat recht beeindruckend. Doch das würde ich ihm nie sagen. Sein Ego war bereits groß genug, das musste ich nicht noch streicheln und dabei mit Nonsens füttern.
»Neuer Fall? Kommt Freya nicht?«, fragte ich nach unserer Vorgesetzten, als Ethan den Inhalt der Akte vor mir aufschlug.
»Ist noch in einer Besprechung. Ich soll dich schon mal instruieren. Geht um eine vermisste Person«, erklärte er und zeigte mir ein Foto einer jungen Frau. »Beziehungsweise… wir wissen, wo sie sich aufhält. Aber sie reist immer von Ort zu Ort, bleibt nie wirklich stehen und scheint vor etwas zu fliehen. Sie hat uns angewiesen, herauszufinden, wer hinter ihr her ist.«
»Warum geht sie damit nicht zur Polizei, sondern kommt zum MI6?«
»Freya hat den Fall von der Polizei übernommen. Sie glaubt, es steckt mehr dahinter. Besonders wegen ihrer Herkunft« Ethan runzelte die Stirn und lehnte sich angespannt im Stuhl zurück, während er mir tief in die Augen sah. »Sie will, dass du den Fall übernimmst und schaust, was Sache ist. Du bist immerhin ihr bester Mann.«
Ich schloss für einen Moment meine Augen. Langsam verschränkte ich meine Arme und lehnte mich ebenfalls im gemütliche Seminarstuhl zurück. »Ich soll das alleine durchziehen?«
Ethan lachte. »Natürlich nicht ganz alleine. Ich bin im Hintergrund und recherchiere, was geht. Du kriegst dann alles von mir. Hey«, begann er mir auf die Schulter zu hauen, »Ich bin doch dein Informant! War ich doch immer!«
Langsam öffnete ich meine Augen und sah in die Aufgeregten meines Kollegen. Ich liebte den Job im Geheimdienst. Er ermöglichte mir viele Dinge, die ich sonst nicht tun könnte. Zum Beispiel meine Fähigkeiten umfassend einsetzen. Bis auf das kunstgeschichtliche, was mir bisher nur einen Fall im Museum erleichtert hatte, konnte ich überall punkten. Der Job im Luxusgeschäft bei Cindy war nur ein Cover. Wir lebten hier in der größten Sicherheitsstufe. Niemand durfte wirklich wissen, wer wir waren, was wir taten, wo wir es taten und wie wir es taten. Nach meinen vielen Abschlüssen, die ich gleichzeitig absolvierte, wurde ich quasi von meiner Chefin – Freya Hill – abgeworben. Sie hielt mich fest, erklärte mir kurz, worum es ging und versicherte mir, dass ich ein gutes Gehalt bekommen würde, solange ich bereit wäre mein Privatleben gänzlich aufzugeben und bereit wäre, über meine eigenen Grenzen zu gehen. Körperlich als auch psychisch. Ich hatte 24 Stunden, um mir das Angebot zu überlegen. Ich entschied mich in einer.
»Okay. Rede mit mir, worum geht’s?«, forderte ich nach einigen Sekunden Stille Ethan auf, mich einzuweisen.
»Irina Iwanowna, geboren in Moskau, kam als kleines Mädchen nach England, nachdem ihre Eltern hier einen Job gefunden hatten. Die Mutter war Bäckerin, der Vater Konditor, gemeinsam eröffneten sie ein Geschäft.«
»Ziemlich schlank für so viel Gebäck im Leben«, stellte ich fest und begutachtete das Bild der rothaarigen jungen Frau. Sie war in der Tat recht schlank, Sommersprossen deuteten darauf hin, dass das Bild im Sommer geschossen wurde. Sie lächelt sehr stark, vermutlich war der Fotograf eine Person, die sie kannte und mochte. »Hat sie Geschwister?«, fragte ich nach.
»Nein, Einzelkind. Die Eltern trennte sich nach zwei Jahren Aufenthalt hier in England. Die Mutter blieb, der Vater kehrte zurück nach Russland. Die kleine Irina blieb ebenfalls hier.«
Ich legte das Bild zurück zu den anderen Unterlagen. »Und jetzt vermutet sie, wird sie verfolgt?«
»Der Vater scheint in etwas verwickelt worden zu sein. Genaueres wissen wir nicht. Zumindest glaubt man, Irina könnte der Schlüssel zu etwas sein.«
»Man will sie also kidnappen und als Druckmittel verwenden?«, hakte ich nach und musterte Ethans Gesicht, während er einen zusammen getackerten Stapel Papier durchging.
»Es ist zu vermuten. Sie fühlt sich bedroht, hat deswegen die Polizei alarmiert. Letztendlich wurde der Fall nun uns übertragen, da man russische Aktivitäten vermutet.«
»Klingt … haarig.«
Ethan lächelte aufmunternd und klopfte mir erneut auf die Schulter. »Du schaffst das, Kyle. Bist doch unser bester Mann.«
»Das bin ich definitiv nicht«, korrigierte ich ihn und entzog ihm meine Schulter. »Ich bin nicht sehr gut im Nahkampf und getötet habe ich bisher auch nur, wenn es wirklich nötig war.«
»Was ja auch gut so ist«, grinste Ethan, wissend, dass er des Öfteren Ärger bekommen hatte, weil er zu viele Subjekte aus dem Weg geräumt hatte. »Deswegen bist du jetzt unser Mann. Die Daten, wo sie sich zurzeit aufhält, findest du in der Akte. Geh in Ruhe alles durch. Kannst ja nachher schon mal die Lage auschecken.«
Ich nickte seufzend, trank den Rest meines bereits kalten Kaffes aus und setzte mich an die Unterlagen. Das meiste davon waren unnütze Informationen, die rein der Beschreibung galten. Was interessierte es mich, wann die gute Dame ihren ersten Hund hatte? Viel eher wäre es von Wert gewesen, hätte man recherchiert, wo sie zur Schule gegangen ist, wer ihre Freunde waren, weitere Verwandtschaft, Hobbies, Exfreunde oder sogar gescheiterte Ehen. Sie war bereits Ende 20, da konnte bereits alles passiert sein.
Im späteren Verlauf des Abends setzte ich mich ins Auto und fuhr die kalt nassen Straßen Londons entlang. Der Wind pfiff unangenehm, sodass ich die Lage vom Inneren des Autos inspizierte. Die Sitzheizung war einfach zu schön.
Das Haus, in dem sie sich zurzeit befand, war sehr alt. Ungewöhnlich heruntergekommen. Vermutlich diente es tatsächlich der Ablenkung. Niemand würde sie hier vermuten. Dass wir den Standort von ihr bekommen hatten, zeigte ein enormes Maß an Vertrauen, wenn sie wirklich so paranoid sein sollte, dass die Russen hinter ihr her waren.
Als nach mehreren Minuten nichts passierte, entschied ich mich doch auszusteigen und die Gegend etwas besser zu untersuchen. Mir wurde es verboten, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Vermutlich aus Sicherheitsgründen. Niemand würde einen Mitte Dreißigjährigen an ihrer Seite ‚einfach so‘ dulden, sollte man sie wirklich beobachten. Eine romantische Beziehung wäre da viel zu nahe liegend und meine Tarnung würde früher oder später auffliegen.
Ich ließ das Auto in einer Seitenstraße stehen und betrat die leere Straße. Mit dem Handy in der Hand, schlenderte ich durch die Häuser und warf hier und da einen neugierigen Blick rein. Zwischendurch tippte ich auf meinem Handy, tat so, als würde ich nach dem Weg suchen. Schließlich blieb ich stehen und begutachtete einen Hinterhof mit Mülltonnen. Alle schien soweit normal zu sein. Keine Auffälligkeiten. Eine normale Nachbarschaft, zwar etwas heruntergekommen und auf keinem sehr hohen Niveau, dennoch sehr ruhig. Keine Drogendealer, keine schummrigen Figuren, die hier nachts ihr Unwesen trieben. Mrs. Iwanowna hatte ein gutes Gespür für Verstecke. Vielleicht hatte sie auch Hilfe. So schnell bekam man in London keine neuen Wohnungen. Eventuell wohnte sie auch bei einer Freundin? Einer Bekannten? Einem Freund?
Ich notierte im Handy, dass ich Ethan nach Beziehungen ausquetschen sollte. Es war nötig, dass ich Mrs. Iwanownas Umfeld kannte.
Als ich nach mehreren Minuten zurück zum Auto ging, bemerkte ich eine dunkle Gestalt an der Ecke des Wohnblocks rauchen. Ein großer Mann, vermutlich mein Alter, doch man erkannte sein Gesicht kaum. Die Straßenlaterne ließ ihn älter wirken, als er vermutlich war. Die Zigarette glimm auf, als er an ihr zog. Der kalte Rauch wurde sofort ausgeatmet. Keine langen Züge. Entweder ihm war kalt und er wollte schnell wieder rein oder er tat nur so, als würde er rauchen und war eigentlich gar kein Raucher. Zweiteres würde mir dubios vorkommen.
Der Mann lehnte an der Hauswand und hielt eine Hand in der Manteltasche, während er mit der anderen die Zigarette hielt. Der Mantel war mit Fell an der Kapuze und sah sehr dick aus. Er hätte alles darunter haben können. Meine eigene Waffe rieb an meinen Rippen, während ich ging, und gab mir ein Gefühl der Sicherheit. Doch als ich an meinem Auto ankam, mich noch ein letztes Mal umsah und den Mann dabei begutachtete, schnippte der seine Zigarette aus und ging um die Ecke, sodass er aus meinem Sichtfeld verschwand.
Mit einem etwas mulmigen Gefühl stieg ich ein und startete den Motor.
Entweder ein Mann aus der Nachbarschaft, der zum Rauchen rausging, oder einer der Leute, vor denen sich Mrs. Iwanowna fürchtete.
Ende Kapitel 1
Roman (2020): Boys Love | Horror | Gewalt
1 Band (abgeschlossen)
Empfohlen ab 18 - Triggerwarnungen beachten!
Schon an Davids erstem Tag bekommt er bitter zu spüren, dass das Gefängnis kein Ponyhof ist. Dennoch kann er es nicht lassen, seine Nase in dunkle Machenschaften zu stecken, die in den Tiefen des Gefängnisses vor sich gehen. Schnell lernt er, dass es nur eine Regel gibt: Fressen oder gefressen werden. Neben all den Gerüchten um gefährliche Insassen und einem korrupten Direktor lässt ihn insbesondere ein charismatischer Mann aus Block C keine ruhige Nacht mehr schlafen. Doch auch er scheint mehr Geheimnisse zu haben, als er David glauben lässt...
Trigger-Warnung: Diese Geschichte enthält Szenen, die für Minderjährige und Risiko-Gruppierungen nicht geeignet sind.
Um in den Knast zu kommen, gab es im Grunde zwei Wege: Man war’s. Oder man hatte einfach nur Pech.
Die meisten Insassen würden auf die zweite Option plädieren, wobei es vermutlich in 95% der Fälle die erste Option war. Als David Hamsfield zum ersten Mal die Betonwände verziert mit
Stahl sah, fuhr ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Er hatte schon viel in seinem Leben gesehen, aber das erste Mal zu wissen, dass man einem Ort nicht entfliehen kann, war abstoßend
unan-genehm.
Die zwei großen, sehr einschüchternd wirkenden Männer ne-ben ihm begleiteten David zu seiner Leibesvisitation. Danach würde man ihm alles abnehmen, was ihm gehörte. Und ihm im Gegenzug
ein graues Fashionsymbol überreichen, welches jeder hier trug. Als er seinen Ehering abnahm und in eine Plastiktüte warf, musste er einige Sekunden darauf starren. Es fühlte sich seltsam
an, ihn zu sehen. Umso seltsamer war es jedoch, als die Plastiktüte in einem Schließfach verschwand, als würde sie nie wieder dort herauskommen.
Der Beamte, der ihn im kalten Zimmer bat, sich auszuziehen, war zu Davids Überraschung sehr nett. Er lächelte hier und da sogar, wenn David eine trockene Bemerkung über die Utensilien auf
dem sterilen Tisch machte. Die lockere Atmosphäre spannte sich jedoch schlagartig an, als der Beamte seinen Anus untersuch-te. Und sich dabei enorm viel Zeit ließ.
Gekleidet in grauer Hose und grauem Shirt, wurden ihm noch einige andere Dinge gereicht, die er zum persönlichen Gebrauch verwenden durfte. Als er so an der Theke mit der dicken
Plexi-glasscheibe stand, bekam er das erste Mal Kontakt mit anderen Insassen. Sie kamen wohl gerade von einer Schicht, da sie ver-dreckte Overalls trugen. Sie lachten und schienen im
Allgemei-nen recht viel Spaß zu haben. Doch gerade, als David zu ihnen blickte, pfiffen sie ihm hinterher und deuteten sehr deutlich an, dass er ihnen einen blasen sollte. Mit lautem
Gelächter ver-schwanden sie dann hinter einer großen Metalltür.
David konnte nur müde lächeln. Er freute sich schon auf die erste Erfahrung in der Dusche.
Noch konnte er halbherzig darüber spaßen, doch das Lachen verging ihm schnell, als ihn ein weiterer Beamte zu seiner Zelle eskortierte. Der Weg dauerte länger als gedacht, sodass sich
eine unangenehme Stille breit machte, während sie durch die grauen Gänge gingen.
Der Mann nutzte die Zeit, um David erneut einzuweisen. Doch das geschah weitaus halbherziger als zuvor, wo man ihn bei An-kunft auf das Nötigste hinwies.
»Keine spitzen Gegenstände wie Rasierer oder Messer. Besteck ist aus Plastik, rasiert wird sich nur mit elektrischen Rasierern. Haarschnitte gibt’s beim Frisör«, murmelte der schon etwas
älte-re Mann, während er ein Stückchen hinter David ging. Der trug seine Ersatzkleidung und die anderen Gegenstände wie ein Tab-lett durch die Gegend. Er fuhr die Gänge mit seinen Augen
ab, so gut er konnte. Da waren mehrere Zellenblocks und Sanitätsräu-me. Die meisten Türen waren abgeschlossen. Nur mit Transpon-dern kam man weiter. Sollte also mal ein Transponder
verloren gehen, konnte man ihn schnell deaktivieren. Es machte also kei-nen Sinn, so ein Ding zu klauen. David musste sich nach einer anderen Möglichkeit umsehen, die Türen zu
öffnen.
»Gibt’s Schlägereien, gibt’s Ärger«, erklärte der Herr weiter, während er versuchte die hämischen Kommentare der anderen Insassen zu ignorieren. »Beleidigungen oder sogar
Handgreif-lichkeiten gegenüber den Angestellten wird mit Sanktionen ge-ahndet. Entweder Sozialarbeit oder mehr Jahre, je nachdem.«
David musste schmunzeln, sagte jedoch nichts.
»Sie haben eh lebenslang bekommen, oder? Na, bleiben Sie trotzdem brav. Vielleicht lässt man Sie aufgrund guter Führung irgendwann doch wieder raus.«
Erneut sagte David nichts, sondern sah sich weiter um. Sie er-reichten einen relativ neuen Gebäudekomplex. Die Wände waren noch in einem gleichmäßigen Grau gestrichen und nicht so wie die
anderen mit etwas Patchwork-Arbeit.
Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, erreichten sie end-lich Davids Zelle. Eine dicke Tür mit einem kleinen Fenster im oberen Drittel. Geschützt durch Gitterstäbe. Erneut öffnete
nur ein Transponder die Tür.
»Es gibt Zeiten, in denen sich alle frei bewegen dürfen. In allen anderen Zeiten wird in der Zelle geblieben. Ausbruch wird auch hier mit Strafen sanktioniert… Sie wissen schon.«
David nickte brav, hielt seine Kleidung noch immer vor sich her, und blieb erst einmal im Flur neben dem Beamten stehen, während er die Tür öffnete. In der Zelle saß ein großer,
tätowier-ter Mann. Als er David sah, grinste er verschmitzt auf und zeigte dabei seine vielen Goldzähne.
Dass die ihm noch niemand ausgeschlagen hatte, war ein Wun-der gewesen.
»Oh la, la! Was haben wir denn da?«, begrüßte der stämmige Mann David und lehnte an die offene Tür. Der Beamte schien die Ruhe selbst zu sein, auch als der Zellengenosse seinen Kopf aus
dem Zimmer streckte. »Bringst du mir was Neues zum Knabbern, Jerry?«
»Nein«, schnaubte Jerry aus und wedelte mit dem Transponder in die Zelle. »Das ist Tucker Dawson, sitzt wegen Drogenhandels. Lass die Finger von ihm. Schwules Zeug wird ebenso
sanktio-niert.«
Da zwinkerte Tucker David bereits hämisch zu. »Man darf al-les. Man darf sich nur nicht erwischen lassen.«
»Vielen Dank«, begann David in einer ruhigen Stimme zu spre-chen, auch wenn er alles andere als ruhig war. »Aber ich bin nicht homosexuell.«
Tucker lachte und biss sich auf die Unterlippe. »Challenge ac-cepted!«
Der Beamte kehrte David schließlich in die Zelle und schloss die Tür. Es dauerte einen Moment, bis Tucker von seiner Seite rückte und ihm etwas Platz schaffte.
Die Zelle war klein, aber nicht zu klein. Natürlich ein klassi-sches Stockbett, aber das sah sogar in Ordnung aus. Tucker hatte anscheinend das untere Bett belegt. David würde die obere
Hälfte nehmen. Also legte er seine Sachen auf das bereits bezogene Bett. Als er sogar einen kleinen Fernseher entdeckte und eine baulich abgetrennte Toilette mit Waschbecken, die auch in
einer einfa-chen Wohnung hätte stehen können, drehte er sich ungläubig zu Tucker.
»Ein wirklich schönes Zimmer für ein Gefängnis«, gestand er überrascht und blinzelte in die Richtung seines Zellengenossen.
Das brachte ihm nur ein lautes Lachen ein. »Oh, gewöhn dich nicht zu früh dran, Jüngelchen. So schön, wie es wirkt, ist es hier nicht. Wobei«, und da ließ er sich auf einen der beiden
Stühle fallen, die an einem kleinen Tisch standen, »hier ist es wirklich noch nett. In den anderen Blöcken ist es schlimmer.«
Da wurde David hellhörig. »Wie soll es dort sein?«
Tucker kratzte seinen breiten Oberarm, als würde ihm das beim Nachdenken helfen. »Na, da soll jede Woche einer draufgehen und so ein Scheiß. Da sitzen die richtig üblen Kandidaten.
Mör-der und so. Serienkiller. Das ganze Zeug.«
David zog die Augenbrauen zusammen. »Und hier? Wer sitzt hier? Nur Drogendealer?«
»Na hör mal«, schnaubte Tucker und trat aggressiv gegen den Tisch. »Lass es mal nicht so klingen, als wären wir hier die Klein-verbrecher!«
David sagte nichts, sondern starrte weiterhin zu seinem Nach-barn. Die Antwort interessierte ihn brennend.
Tucker verschränkte die Arme. Jedenfalls versuchte er es. Mit seinen Muskeln sah es schwierig aus, die Arme überhaupt anzu-winkeln. »Hauptsächlich Drogendealer. Gewaltverbrecher. Ein paar
Sexualstraftäter. Sowas halt.«
David nickte. »Dann kann ich ja froh sein.«
»Wieso? Was hat dich hier reingebracht?«, hakte Tucker auf einmal wieder sehr fröhlich nach und lehnte sich ein Stück zu David vor, der noch immer etwas geniert mitten im Raum
stand.
»Meine Exfrau.«
»Oh!«, pfiff Tucker und hob die Augenbrauen an, als wüsste er sofort, worum es ging. »Die Weiber, echt schlimm! Meine hat mich Gott sei Dank nicht verpfiffen, ich hatte einfach Pech mit
den Bullen.«
»Ja, die Weiber«, wiederholte David und griff zu seiner Zahn-bürste. Langsam packte er sie aus, um sie ans Waschbecken zu legen. »Tucker ist ein sehr interessanter Name. Habe ich vorher
noch nie gehört.«
Während David im kleinen Bad stand, hörte er Tucker förmlich grinsen. »Kennst du das Auto? Von der Tucker Corporation? Mein Dad war ein großer Fan! Hat mich danach benannt. Meine Ma hatte
da wohl nicht viel Mitspracherecht.«
»Interessant.« War es nicht. Aber David wollte nicht über ihre Delikte sprechen. Und Tucker schien zwar groß und gefährlich aussehend zu sein, war es aber eigentlich nicht. Er zeigte
David kurz vor dem Abendessen sogar die Bilder seiner zwei Kinder. Ein uninteressanter Fall, dachte David. Und konzentrierte sich auf die anderen Insassen.
Die Kantine war noch einmal eine ganz andere Welt. Sie war riesig. Überall Sitzgelegenheiten, an einem Ende ein großes Buf-fet, wo man mehr oder weniger selbst entscheiden konnte, was man
essen wollte. Das klassische auf das Tablett schmeißen gab es trotzdem. Vermutlich war es einfach besser zu reinigen. Und man konnte niemanden mit einem Plastiktablett erschlagen.
Jedenfalls glaubte David das noch.
Als seine Augen die oberen Etagen abgingen, entdeckte er mehr als 20 Scharfschützen.
»Ist es hier schon einmal zu einer Schießerei gekommen?«, fragte David mit leiser Stimme seinen Kollegen, der nicht von seiner Seite wich. Tucker, der fast einen guten Kopf größer war als
David, beugte sich ein kleines Stück runter.
»Öfter als du denkst. Aber meistens nur, wenn Zellenblock C Essenszeit hat. Wir sind soweit sicher. Hier gibt es vielleicht mal eine Pöbelei, aber mehr nicht.«
Davids Interesse war erneut geweckt. »Muss ich mich also vor bestimmten Personen in Acht nehmen?«
»Haha«, lachte Tucker und legte einen Arm um David. Die Geste war etwas unangenehm, vor allen Dingen, weil Tucker et-was nach Schweiß roch, aber David sagte nichts. »Du solltest dich vor
allen hier in Acht nehmen, Dee. Wer nicht an deinen kleinen süßen Arsch will, der will an deine bezaubernde Kehle. Bleib also bei mir. Ich bin nett.«
David war sich sicher, dass das vermutlich sogar eine gute Idee war. Doch er bemerkte schon bei der Essensausgabe eine Gruppe Männer, die ihn und Tucker genauestens beobachteten. Sie
sahen von Weitem nach Ärger aus.
Als sie an einem Gemeinschaftstisch saßen und Tucker ihm fröhlich von seinen Drogen erzählte, die er sich alle reinge-schmissen hatte, kamen sie dann endlich an. David hatte nur darauf
gewartet und die Angestellten auf seiner Etage ausge-macht, die ihm notfalls hätten helfen können.
»Hey, ein Rotarsch«, wurde David von einem Lateinamerikani-schen Kerl angequatscht. Ebenfalls bis zum Hals tätowiert, setzte er sich sofort neben ihm und legte einen Arm um seine
Schultern. »Sogar ein Rotschopf. Ich steh auf Redheads.« Seine Freunde lachten hämisch. Insgesamt waren es fünf Männer. Einer hässli-cher als der andere. Aber anscheinend alle vom Stamme
‚wir sind sexy und wir wissen das‘.
»Kann ich Ihnen weiterhelfen?«, fragte David höflich und ver-suchte ein Lächeln aufzusetzen. Tucker war auf einmal ver-stummt und sah der Szene zu wie ein Reh einem Scheinwerfer auf der
Straße.
Der Latino leckte sich über seine Lippen und musterte Davids frisch rasierte Wangen. »Vielleicht«, summte er und strich mit der Rückseite seines Zeigefingers über Davids Gesicht. »Sag,
weswegen bist du hier? Ich bin neugierig.«
»Ich denke nicht, dass das wichtig ist«, sagte David bestimmend und entzog sich der unangenehmen Berührung.
»Oh Junge«, lachte der Charmeur und sah sich in seiner Runde von Gefolgsmännern um. »Der hier hat Biss. Das mag ich.«
Noch bevor David mitlachen konnte, wurde er am Kragen ge-griffen. Heißer Zigarettenatem stieg in seine Nase, während der gestriegelte Latino in sein Ohr raunte. »Ich und meine Gang ha-ben
hier das Sagen in Block A. Sei brav. Halt dich an die Regeln. Und du kannst deine Zeit absitzen, ohne dass du einen Finger verlierst oder einen Zeh. Wie klingt das, hm?«
David versuchte seinen Kopf zum Mann zu drehen, ohne ihm direkt dabei einen Schmatzer zu verpassen. Fast Nase an Nase schaffte er es, Latino-Boy in die Augen zu sehen. Im Hintergrund sah
er einige Wachen mit den Händen bereits an ihren Knüppeln. Bereit einzugreifen, sollte es in eine Schlägerei ausarten.
»Vielen Dank«, sagte David und lächelte fast schon aufrichtig in das seltsam geformte Gesicht des Mannes. »Aber ich bin nicht homosexuell.«
Natürlich flog dann die erste Faust. Sie traf David in der unte-ren Magengegend, sodass er sich nach vorne krümmte. Tucker meinte es sicherlich nur gut, als er aufsprang und nach dem
Lati-no-Boy greifen wollte. Doch da schritten die Wachen schon ein und griffen sich einen nach dem anderen. Umhersitzende und stehende Insassen fingen auf einmal an zu pfeifen und zu
schrei-en, als wäre ein Hahnenkampf losgegangen. Noch bevor es tat-sächlich zu einem Kampf kommen konnte, wurde die Gruppe an Männern entfernt. Leider auch David und Tucker. Ohne etwas
gegessen zu haben, mussten sie wieder zurück in ihre Zelle.
»Entschuldige, dass du auch nichts essen konntest«, beteuerte David sein Leid und beobachtete Tucker, wie er sich eine Zigaret-te am Gitterfenster anmachte.
»Schon ok«, sagte er und zuckte mit den Schultern. »Antonio kann nerven. Er meint, er wäre mit seinen aufgestummten 1,70m irgendwie ‘ne große Nummer. Dabei ist es einfach nur
lächer-lich.«
»Dafür, dass er keine große Nummer sein soll, bist du aber auf einmal sehr leise geworden.« David setzte sich an den kleinen Tisch und beobachtete Tuckers Mimik. In der Tat verzog sich
sein Gesicht ein wenig.
»Er ist dafür bekannt auch mal über die Strenge zu schlagen. Halte dich also von ihm fern, insbesondere, wenn du alleine un-terwegs bist. Geh nicht alleine duschen und so.«
Das brachte David zum Schmunzeln. »Ist das jetzt freund-schaftliche Fürsorge oder ein nicht ganz so selbstloses Angebot?«
Tucker nahm den Kommentar zum Glück als Scherz und grins-te, während er den Zigarettenrauch aus dem Fenster pustete. Es roch trotzdem im ganzen Zimmer danach. »Beides. Aber im Ernst: Der
Typ macht keine halben Sachen. Wenn der sein Ding in dich reinstecken will, dann macht er’s.«
»Schon erlebt?«
Tucker schüttelte den Kopf. Erleichterung machte sich in sei-nem Gesicht breit. »Nein, ich bin wohl nicht sein Typ. Aber mein vorheriger Mitbewohner. Den haben sie erwischt.«
»Was ist mit ihm passiert?«
»Er ist jetzt in Block B. Hat sich freiwillig dorthin verfrachten lassen.«
»Wer sitzt da so? Die Mörder?«
»Ja, zum Teil. Aber auch so Leute, die es nicht lernen. Weißt du? Die mal rauskamen und im Grunde in der ersten Minute direkt wieder jemanden gekillt oder sexuell missbraucht haben.
Schwer von Begriff eben.«
»Wieso sollte man da freiwillig hin?«, hakte David nach und hob die Augenbrauen.
Doch Tucker zog nur die Schultern hoch und schnipste seinen Zigarettenstummel aus dem Fenster, obwohl ein Aschenbecher auf dem Fensterbrett stand. »Keine Ahnung. Nach Logik darfst du hier
nicht fragen.«
Vermutlich hatte Tucker Recht. Denn bereits in der Nacht hör-te er lautes Stöhnen durch die Gänge. Dafür, dass homosexuelles Verhalten nicht toleriert wurde… geschah recht wenig, um es zu
verhindern. Sein Zimmergenosse war jedenfalls tief und fest am Schlafen, sodass David sich zumindest in der ersten Nacht keine Gedanken um sexuelle Annäherungen machen musste.
Ende Kapitel 1
Roman (2018): Boys Love | Fantasy | Engel
1 Band (abgeschlossen)
Empfohlen ab 18
Sato - Top Manager einer großen Firma in Japan - hasst und liebt seinen Job zugleich. Es kam, wie es kommen musste: Eines späten Abends erwischt ihn sein erster und letzter Schlaganfall. Sato weiß nicht, wie ihm geschieht, als er anstatt zu sterben, einen jungen Mann vor sich sitzen sieht. Der erklärt ihm schnell, was Sache ist: Sato müsste eigentlich tot sein und im Jenseits sitzen. Stattdessen klammert sich seine Seele noch an seinen Körper und dem jungen Mann ist es schier unmöglich, Satos Seele überzuführen. Da wird dem Geschäftsmann schnell klar: Dieser silberhaarige Mann ist nicht irgendwer - Er ist sein persönlicher Todesengel.
Dort, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbrachte, kannte man so etwas wie Feierabend nicht. Auch keine Feiertage oder generell das Wort „feiern“. Es gab nichts zu zelebrieren,
höchstens ein lobendes Wort, dass die Firma erneut die Gewinnprognosen übertroffen hatte und man die „freiwillig“ tausend abgeleisteten Überstunden der ausgebeuteten Mitarbeiter sehr
schätzte. Jeden Tag wurde aufs Neue erwartet, dass man sich verbesserte, dass man nach mehr strebte – für die Firma. Denn man lebte für sie. Und man starb auch für sie.
Es war der erste Dezember und Akuma-Sato Yamamoto starrte aus dem großen Fenster neben seinem Schreibtisch. Die Menschen auf den Straßen huschten wie Ameisen hin und her, um die letzten
Geschenke für das große Fest zu besorgen. Viel zu teure Dinge für Menschen, die man beeindrucken oder deren Liebe man sich erkaufen wollte, dachte Sato, genervt von den Menschenschaaren
unter seinem Fenster. Obwohl er im 24. Stock saß und die Menschen ihn in keiner Weise beirren sollten, ließ sich der Manager trotzdem von seiner Arbeit ablenken. Der Bericht zum
Jahresende seiner Abteilung sollte längst beim Chef eingereicht sein. Die Kostenstelle sollte ebenfalls in den nächsten Tagen eine Übersicht erhalten. Seine Mitarbeiter warteten auf die
Arbeitsanträge für das neue Projekt, welches im neuen Jahr starten sollte. Sowieso lag mehr Arbeit auf seinem Schreibtisch, als Sato lieb war.
Seufzend erhob er sich, um sich einen weiteren Kaffee aus der kleinen Küche im Flur zu holen, als er sein Handy in der Hosentasche vibrieren hörte. Um keine weitere Zeit zu vertrödeln,
kramte er es im Gehen raus und wischte über den Bildschirm. Eine Nachricht seiner Ex-Freundin blitzte vor seinen Augen und hinterließ einen bitteren Geschmack im Mund.
„Ich habe noch dein Geschenk hier und will es dir geben. Können wir uns die nächsten Tage treffen? Dann sehen wir uns noch vor Jahresende und ich muss das Geschenk nicht
zurückgeben.“
Seufzend und etwas gereizt packte Sato das Handy wieder weg und stellte seine Tasse unter den vollautomatischen Kaffeeautomaten. Obwohl er ihr schon vor Wochen den Laufpass gegeben hatte,
klammerte sie weiterhin an den Überresten, die man mal eine Beziehung hätte nennen können. Er war vieles – Manager, Arbeitstier, guter Chef, konsequent, belastbar und fair –, aber kein
Schmusetiger, den man auf Familienfeiern und Geburtstagen mitnahm, um sich als Traumpärchen darzustellen. Und er war sich bewusst, dass diese SMS ein letzter, mitleidserfüllender Versuch
war, ihn zurückzugewinnen. Wahrscheinlich hatte sie ihn bereits bei der Familie angekündigt und wollte nun der Scham entrinnen, dass er sie hat sitzen gelassen – so kurz vor
Weihnachten.
Doch Sato hasste solche Festivitäten. Das war mitunter auch einer der Gründe, wieso Sato seine eigene Familie mied. Umso weniger sah er ein, wieso er die Familie seiner Ex-Freundin
kennenlernen sollte. In den letzten Wochen wurde sie sowieso im Umgang immer schwieriger, also machte er Schluss. Nicht einmal der Sex konnte ihn überzeugen, noch ein bisschen
auszuhalten. Sie war nett, ganz hübsch und relativ intelligent. Eigentlich das, was Sato mochte. Aber was er eben nicht leiden konnte, waren komplizierte Themen wie Liebe, Heiraten,
Kinder und Familienfeiern. Und genau solche Themen wurden im Laufe der letzten Monate immer häufiger angeschnitten. Nicht nur von seiner Ex, auch von seinen Kollegen und Mitarbeitern. Er
war doch schon Mitte 30, wo blieb denn die eigene Familie? Aber er konnte ja nicht mit jedem Schluss machen, der ihn auf seine nicht vorhandene Familienplanung ansprach.
Gelangweilt von sich selber, dass er solche Gedanken erneut an den Arbeitsplatz brachte, obwohl er mit dem Ende der Beziehung gehofft hatte, nicht mehr damit konfrontiert zu werden,
setzte er sich mit einer heißen Tasse Kaffee zurück an seinen Schreibtisch, um den Bericht weiter zu schreiben.
„Yamamoto-Sama?“, kam eine zögerliche Frauenstimme hinter der Glastür zu seinem Büro. Ohne von seinem Computerbildschirm aufzusehen, brummte Sato seine Sekretärin hinein. Sie trug einen
engen und kurzen Bleistiftrock, den Sato eigentlich immer an ihr zu schätzen wusste und es ihr gerne mitteilte. Sie kicherte dann errötend auf und zog die Schultern hoch, als würde sie
sich schämen, den Rock angezogen zu haben. Dabei war sich Sato sicher, dass sie ganz genau wusste, welche Wirkung sie damit erzielen würde. Doch nach der Nachricht von seiner Ex, war ihm
nicht zum Flirten zumute.
Zögerlich, die Stimmung nicht ganz einschätzend, kam die junge Frau in Satos Büro und ließ die Tür offen. Es ging wohl um nichts Großes, vermutete der Manager und tippte weiter an seinem
Bericht.
„Ihr Termin für heute Abend wurde abgesagt. Wenn Sie möchten, kann ich das Meeting auf morgen Abend setzen. Der Kunde war sehr offen, was – “
„Setzen Sie Ihn auf Übermorgen. Ich muss morgen Abend etwas Privates erledigen“, sagte Sato spitz und machte sich eine mentale Notiz, dass er seinen Besuch noch bei seiner Ex ankündigen
sollte.
Die junge Frau nickte verunsichert und verließ den Raum mit schnellen Schritten, ohne dabei nicht noch einen kurzen Blick zu ihrem Chef zu werfen, der sie weiterhin ignorierte.
Es wurde langsam dunkel und die glitzernden Lichter der Stadt funkelten unangenehm in den trockenen Augen von Sato. Er rieb und drückte gegen seine müden Augenlider, in der Hoffnung der
Schmerz würde nachlassen. Erst, als selbst die Lichter der Straßen dunkler wurden und seine Sekretärin schon lange ihre Schicht beendet hatte, schielte Sato auf seine Uhr am Computer. Es
war bereits kurz vor 23 Uhr.
Der Bericht war noch immer nicht fertig, auch wenn er die freie Zeit nach der Terminabsage so effizient genutzt hatte, wie es nur irgendwie ging. Der Manager wägte im Bruchteil einer
Sekunde ab, ob er weiterschreiben oder nach Hause gehen sollte, doch als er sich daran erinnerte, dass ihn niemand in seinem Loft erwarten würde, beschloss er weiter am Bericht zu
schreiben, auch wenn seine Augen langsam aufgaben. Es vergingen Minuten, in denen Sato angestrengt auf den hellen Bildschirm starrte und nicht merkte, wie die Buchstaben langsam unklar
wurden. Alles verschwamm in seinem Gesichtsfeld, was ihn mehrfach blinzeln ließ. Doch als er sich ins Gesicht fassen wollte, konnte er seinen Arm nicht heben. Ein lautes Piepsen ertönte
in seinen Ohren, alles um ihn wurde weiß, dann schwarz. Der Bericht blitzte noch ein letztes Mal vor seinen Augen auf, als Sato merkte, wie er vom Stuhl fiel und sein Kopf den harten
Boden traf. Alles in ihm brannte, ließ ihn keuchen und nach Luft schnappen.
Er wusste nicht viel über den menschlichen Körper, immerhin war es nicht sein Fachgebiet, wieso sollte er sich also damit beschäftigen? Aber eins hatte er in einem dieser langweiligen
Pflichtseminare gelernt: Hinweise auf einen Schlaganfall. Schnelles Handeln rettet Leben und je länger man wartet, desto mehr Gehirnzellen stürben ab. Gut, dass niemand mehr im Büro
war.
Wunderbar, dachte Sato, während seine halbseitige Lähmung eine komplette wurde, und wer soll jetzt die Übersicht für die Kostenstelle schreiben? Innerlich über seinen sarkastischen
Kommentar lachend, spürte er wie alles etwas leichter wurde. Ah, dachte Sato, das war’s dann wohl? So kurz vor Weihnachten. Na, er hatte es kommen sehen. Wobei er eher auf Herzinfarkt
plädiert hatte. Immerhin stieg der Kaffeekonsum exponentiell mit den Arbeitsstunden an, die er in der Firma verbrachte.
Die Sekunden verstrichen auf einmal wie Sekunden und Sato erinnerte sich an sein bisheriges Leben. Seit seinem Abschluss verbrachte er sein Leben in der Firma. Hier und da gab es eine
Frau in seinem Leben, die er einige Zeit mit sich zog, aber das war’s dann auch. Sato bereute es etwas, sich nie ein Haustier angeschafft zu haben. Aber irgendwie war ihm, als würde er
dadurch seine Härte verlieren, die Glaubwürdigkeit bei seinen Mitarbeitern, die ihn fürchteten, aber auch schätzten.
Sterben dauerte viel zu Lange. Also schloss der Manager die Augen und schmunzelte über die Tatsache, dass er selbst vom Sterben gelangweilt und genervt war.
Auf einmal spürte er eine sanfte Berührung am Oberarm. Oh, huschte Sato durch den Kopf, es war doch noch jemand im Büro? Vielleicht eine Putzfrau? Im nächsten Moment hörte er nervöses
Murmeln. Offensichtlich eine Männerstimme, wenn auch eine eher feminin wirkende. Die Leichtigkeit des Todes wurde immer schwächer, bis Satos Ungeduld den Zenit erreichte. Wenn diese
Person neben ihm offensichtlich wusste, was hier vor sich ging, sollte er doch eigentlich etwas unternehmen. Einen Krankenwagen rufen zum Beispiel. Der Manager wusste in dem Moment nicht,
ob er genervter von der Inkompetenz der bei ihm sitzenden Person war oder vom Gefühl der Erniedrigung, bedingt durch seine Unfähigkeit sich zu bewegen und dem Sabber, der ihm vermutlich
am Mundwinkel herunterlief.
Doch es war, als wäre er dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen. Die Schmerzen und die Lähmung ließen mit jeder verstrichenen Sekunde nach. Schließlich öffnete Sato die Augen und
erschrak, als er einen jungen Mann mit silbrigen langen Haaren über sich gebeugt sah. Dieser bemerkte erst nicht, dass der Manager ihn mit großen Augen anstarrte, da er in irgendeinem
kleinen Notizbuch hektisch las und vor sich hinmurmelte. Erst, als Sato sich aufsetzen wollte, um der peinlichen Situation wieder etwas mehr Würde zu verleihen, zuckte der Junge heftig
zusammen und sprang förmlich einen Schritt nach hinten. Er landete schmerzhaft auf seinem Hintern, fluchte dabei leise auf.
„Wer sind Sie und was machen Sie hier?“, fragte Sato in seinem üblich fordernden und kalten Ton. Der Junge sah ihn mit großen Augen an, antwortete jedoch nicht. Panisch fing er an in
seinem Notizbuch zu blättern, als würde dort eine Antwort auf seine Identität stehen. Der Manager setzte sich langsam auf und übte in der Zwischenzeit seine Hände zu schließen. Problemlos
konnte er sie auch wieder öffnen. Das war wohl nur ein temporärer Schwächeanfall, dachte Sato und schmunzelte. Ihn bekam niemand klein. Weder die Chefetage noch irgendein dummer
Schlaganfall.
Der Silberkopf suchte noch immer hektisch in seinem Notizbuch nach einer Antwort, als Sato ihn anfing zu mustern, um selber eine Schlussfolgerung seiner Herkunft machen zu können. Erst
dann bemerkte er die seltsame Kutte, die der Junge trug. Es waren weiße Gewänder aus schwerem Stoff mit goldenen Verzierungen. Aha, dachte Sato, vielleicht ein Ausländer. Aus dem Orient
vielleicht? Trug man dort nicht solche Tuniken? Ein langer Schal in Karmesinrot lag locker um den schmalen Hals des Jungen. Generell wirkte er so schmächtig und klein, dass Sato
erleichtert feststellte, dass er keine Gefahr war. Ein Einbrecher war er also schon mal nicht – was war er dann? So ging man doch nicht Putzen, oder etwa doch?
„Verstehst du mich nicht oder willst du mir einfach nicht antworten?“, machte Sato entnervt etwas mehr Druck. Der Fremde blätterte noch zwei Seiten, bis er erneut panisch zu Sato aufsah.
Etwas in seinen braunen Augen strahlte eine gewisse Wärme aus, die gleichzeitig Resignation signalisierte. Vermutlich war es der kalte, stiere Blick, den Sato immer gut draufhatte, wenn
es um etwas ging, was er wollte. Und das war in diesem Fall eine plausibel klingende Antwort.
Der Junge fing an, Satos Gesicht zu mustern und jedes Detail abzufahren. Seine Mandelförmigen Augen, seine schmalen Lippen, das spitze Kinn und die große, wohlgeformte Nase, die einer
römischen Statue ähnelte. Das schwarze, glatte Haar, welches kurz geschoren im Businessstyle Satos markante Gesichtszüge intensivierte, glänzte im faden Licht des Büros.
Normalerweise fühlte sich Sato geschmeichelt, wenn andere Menschen ihn bewundernd ansahen, doch der Junge stierte schweigend vor sich hin, was dem Manager enorm missfiel.
„Nun gut“, sprach Sato mit zuckenden Schultern, während er langsam versuchte, aufzustehen, in der Hoffnung, seine Beine würden ihm gehorchen, „Dann rufe ich eben die Polizei.“
Selbst diese Drohung ließ den Jungen nicht aus seiner Starre bringen. Er saß weiterhin auf dem Boden, die schweren weißen Stoffe auf seinem Schoß liegend, den Blick Sato folgend. Das ließ
den Manager eine Vermutung äußern:
„Sprichst du eine andere Sprache? English? Français? Español? Deutsch?“ Sato ging alle Sprachen durch, die er sich irgendwann mal zumindest in den Grundkenntnissen angeeignet hatte.
„Italiano? Russkiy? Oder vielleicht …“, murmelte der Manager vor sich hin. Er wusste selbst nicht ganz, wieso er es noch einmal auf die nette Weise versuchte, immerhin stand ein
wildfremder Junge in seinem Büro, der ausländisch aussah und definitiv nicht sehr kommunikativ war, was seine Identität anging.
„Du siehst verdammt jung aus. Wo sind deine Eltern und wie bist du überhaupt hier reingekommen? Bist du der Sohn von jemandem?“, sprach Sato weiter mit dem Junge, der wie zur Salzsäule
erstarrt noch immer Satos Figur musterte.
Der Geduldsfaden vom Manager wurde immer kürzer. Als er beschloss, den Jungen einfach hochkant rauszuschmeißen, einfach aus dem Grund, dass er keinen Stress mit der Polizei wollte, sprang
der blonde Silberkopf auf, um Satos Händen zu entrinnen. Nach einem kurzen Moment der Stille, in dem Sato überlegte, wie er den Jungen zu fassen kriegen könnte, ohne sein komplettes
Interior zu zerstören, schluckte der Junge offensichtlich einen großen Kloß runter, der seine Stimme befreite.
„Sie können… mich sehen?“, fragte er schließlich zögerlich in das stille Büro.
„Wieso sollte ich nicht? Ich brauche nur eine Brille zum lesen“, scherzte Sato trocken und richtete seinen maßgeschneiderten blauen Anzug. Der Junge war mindestens einen ganzen Kopf
kleiner als er. Ihn zu übermannen schien zumindest eine machbare Alternative zu sein. „Außerdem stelle ich hier die Fragen. Wer bist du und wie bist du hier reingekommen?“, führte Sato
wieder die monotone Stimmlage ein.
Der junge schüttelte unglaubwürdig den Kopf, als hätte er wieder nicht alles von dem verstanden, was Sato gesagt hatte. Erneut blätterte er in seinem Notizbuch. „Unmöglich…“, murmelte er
vor sich hin.
„Hallo? Ignorier mich nicht, du ungezogener Bengel! Es reicht, raus mit dir!“
Mit den Worten griff Sato nach dem Silberkopf und riss ihn von seinem Schreibtisch weg in Richtung Glastür. Der Junge war offensichtlich überrascht und geschockt zugleich, dass er nach
vorne gerissen wurde und stolperte über seine eigenen Füße.
„Sie können mich auch anfassen?“, rief er panisch hinter Sato, was ihn den Kopf schütteln ließ. Selbstverständlich kann ich den Jungen anfassen, dachte der Manager bei sich und zog ihn
weiter durch den spärlich belichteten Flur. Ist er vielleicht geistig gestört? Vielleicht ist er aus einer Anstalt entflohen und man sollte ihn wieder zurückbringen. Haben solche Leute
nicht normalerweise ein Bändchen um das Handgelenk, was Kontaktdaten enthielt?
Sato blieb abrupt stehen, inspizierte die schmalen, weißen Handgelenke des Silberkopfs, der fast in den Manager hineingelaufen wäre, nachdem der so plötzlich zum Stehen gekommen war. Bis
auf bläuliche Äderchen konnte Sato nichts ausmachen, was nach einem Psychiatriebändchen aussah.
„Lassen… Lassen Sie mich bitte los! Da muss ein Fehler vorliegen“, jammerte der Junge auf einmal los und wand sich im eisernen Griff von Sato.
„Davon gehe ich aus. Verschwinde von hier, bevor ich mich doch dazu entscheide, die Polizei zu holen“, zischte Sato und ließ den Junge wie gewünscht los, in der Hoffnung, er würde einfach
verschwinden. Als dieser sich jedoch nicht vom Fleck bewegte, sondern wieder einmal erstarrt zu Sato hochsah, verdreht er entnervt die Augen. „Geht.“
„Nein, Sie verstehen nicht… Das ist ein Fehler… Ich verstehe aber nicht wieso, Sie müssten eigentlich –„, begann der Blondschopf, wurde jedoch unhöflich von Sato unterbrochen.
„Geh. Sofort“, wiederholte er in einem bedrohlichen Ton, der den jungen zusammenzucken ließ. „Oder es setzt was.“
Die schmalen Hände des Jungen fingen an zu zittern, klammerten sich an das Notizbuch, welches geschlossen an seine Brust gedrückt wurde. Als würde der Junge überlegen, ob er wirklich
gehen sollte, nickte er schließlich und setzte sich in Bewegung, um an Sato vorbeizukommen. In dem Moment, wo der Manager drei Ave-Maria betete, dass der Junge endlich verschwand,
starrten ihn die braunen Augen wieder an.
„Sie müssen unbedingt zu Hause bleiben! Gehen Sie nicht unter Leute, bis ich geklärt habe, was passiert ist!“, sprach der Junge ganz aufgeregt. Sato hob nur beide Augenbrauen und konnte
sich ein sarkastisches Grinsen nicht verkneifen.
„Na klar“, war alles, was er amüsiert aus seinen Lippen presste.
„Nein, wirklich, Yamamoto, Sie müssen unbedingt menschlichen Kontakt vermeiden, bevor es noch zu irgendwelchen Problemen – “
„Ich bekomme Probleme, wenn ich nicht zur Arbeit gehe. Und jetzt Abmarsch!“, befahl Sato zum wiederholten Male und fragte sich, woher er die Energie aufbringen konnte, den Jungen
höflichst zu bitten, endlich zu gehen.
Als der Blondschopf erneut zum Konter ansetzen wollte, vibrierte Satos Handy in seiner Hosentasche. Seufzend kramte der Manager sein Handy aus der Hosentasche und starrte auf den
Bildschirm. Seine Ex hatte ihm erneut geschrieben und ihm die Uhrzeit genannt, zu der er morgen aufkreuzen sollte.
Nachdem er das Handy wieder in die Hosentasche gleiten ließ und er aufblickte, war der Junge verschwunden. Es dauerte einen Moment, bis Sato sich räusperte und versuchte sich zu
fangen.
Was war das für ein seltsamer Zwischenfall? Wie konnte der Junge so schnell ohne ein Geräusch verschwinden? War der Schlaganfall der Auslöser für eine Halluzination? Existierte der Junge
vielleicht gar nicht?
Kopfschüttelnd und dankbar, dass man ihm wohl doch noch etwas mehr Zeit auf Erden schenkte, schlurfte er müde zurück in sein Büro. Er packte seine Sachen und verließ das Gebäude
schließlich durch den Aufzug – sich fragend, woher er nur diese Engelsgeduld mit dem blonden Jungen aufbringen konnte.
Ende Kapitel 1
Roman (2018): Boys Love | Vampire | BDSM
1 Band, 2 Prequels (abgeschlossen)
Empfohlen ab 18 - Triggerwarnungen beachten!
Nach dem furchtbaren Vorfall sind die Vampire Hiro, Kiyoshi und Alexander wieder zurück in den Norden geflogen, während der Mensch Jiro in seiner Heimat zurückgeblieben ist.
Alexander kann nach seiner Nahtoderfahrung keine ruhige Nacht mehr verbingen und flüchtet sich in alte Maschen zurück, die ihm Erlösung versprechen. Doch egal, was er tut, der Punk geistert durch seine Gedanken. Letztendlich fragt sich der Vampir, ob es an der Zeit ist, mit der Tatsache zu leben, dass er diesem einen Gedanken wie ein Verrückter hinterherläuft:
Jiro zu seinem Eigentum zu machen.
Egal wie.
Es war das Leben eines Rockstars, was er tagtäglich führte. Dabei hörte er nicht mal Rock.
Morgens in die bescheidene Schule, die seiner Meinung nach eh nichts Wichtiges zu vermitteln hatte, was ihm nicht schon der Fernseher gesagt hätte – abends in den einzigen Club der Stadt,
um sich zu vergessen.
Das Crystals war dafür bekannt, dass man nicht lebendig herauskam. Sei es als Alkoholeiche oder als wirkliche Leiche. Doch wurde dort niemand umgebracht; die Menschen, die verstorben
herauskamen, kamen bereits verstorben herein. Ein Club für Menschen und Untote gleichermaßen, wo es einzig und allein darum ging, mal so richtig zu feiern. Letztendlich zählte nur die
Tatsache, dass er für einige Stunden vergaß, in welcher Welt er eigentlich lebte.
Es war keine klassische Auswegsgeschichte, sondern vielmehr der pure Genuss. Er genoss die Abende, in denen er schon betrunken in den Club ging, großgewachsenen Männern mit Knarren die
Hand schüttelte, sich ein bisschen zudröhnte, um schließlich im Morgengrauen erschöpft vom stundenlangen Tanzen zu ohrenbetäubender Musik in sein Bett zu fallen. Die Leute um ihn herum
zogen ihn in einen Sumpf, den er schon lange nicht mehr missen wollte. Er fing früh mit dem Feiern an – bereits mit 16 rauchte er zum ersten Mal Gras, danach ging es steil bergauf. Oder
bergab, wie seine Eltern immer bemängelten. Koks, Heroin, Speed. Im Grunde alles, was man sich schnell und einfach schmeißen oder rauchen konnte. Es gab ihm den Kick, den er brauchte, um
nach einem anstrengenden Tag zwischen dummen Mitschülern noch mehrere Stunden wach bleiben zu können.
Natürlich, so gestand er sich ein, mussten die Drogen nicht sein. Nein, er nahm sie nur im Club, niemals würde er sie bei sich in der Wohnung nehmen. Abhängig war er also nicht, es war
der Genuss, der ihn immer wieder in die Drogenkiste fuhr. Und vielleicht seine Mitmenschen, die sie ihm fast schon kostenlos unterjubelten.
Generell schätzte er am Feiern die Gesellschaft. Er fühlte sich auf einmal mitten im Leben, wenn die Clubinsassen um ihn schwirrten. Nicht selten – nein, eigentlich immer – schleppte er
ein paar Weiber ab. Er bequatschte sie, manchmal bequatschten sie ihn. Denn so oft wie er das Crystals aufsuchte, so bekannt war er dort auch. Der Barkeeper, der DJ, die Security,
eigentlich alle kannten ihn. So auch die Frauen, die ihm manchmal das Gefühl gaben, nur für ihn den teuren Eintritt gezahlt zu haben. Nur, um mit ihm schlafen zu dürfen. Sei es auf der
kleinen, etwas ekligen Toilette im Club oder woanders. Selten nahm er Frauen mit nach Hause. Die Erfahrung hatte ihm gezeigt, dass er solche Weiber nur schwer wieder aus dem Haus bekam,
da sie oft davon ausgingen, bevorzugt zu werden und erhofften sich damit eine Beziehung.
Doch niemals, so schwor er sich, würde er eine Beziehung mit einer dieser Frauen eingehen. Nein, nur ficken, das reichte ihm. Dafür waren sie auch gut, das machte ihm Spaß. Manchmal
tagtäglich, mindestens zwei Mal die Woche. Es war nicht so, als wäre er sexsüchtig gewesen. Ganz im Gegenteil: Es gab sogar Momente, in denen er regelrecht genervt vom Gestöhne der Weiber
war und sie am liebsten in der Kloschüssel nebenan ersoffen hätte. Trotzdem suchte er immer wieder die körperliche Nähe, um seiner dominanten Art noch den letzten Feinschliff zu geben.
Denn nur selten ging er liebevoll mit den Frauen um. Statt sich zu beschweren, schienen diese jedoch genau auf handgreiflichen Sex abzufahren und sehnten ihn regelrecht herbei. Alles, was
er tat, war den Frauen das zu geben, was sie wollten. Gleichzeitig gab er sich selber, was er so dringend brauchte.
So verging die Zeit, in denen er seine Jugend schneller lebte, als so manch anderer. Als würde ihm die Zeit aus den Fingern gleiten, sobald er damit aufhören würde. Als könne ihm dieser
Lebensstil irgendetwas bringen.
In Wirklichkeit war sich Alexander bewusst, dass er diesen Lebensstil nicht ewig führen konnte. Dass es theoretisch gesehen schon gehen würde, aber sein Körper das auf lange Sicht nicht
mitmachen würde. Oder vielmehr seine Psyche.
Zwar hatte er ein paar Konstanten im Leben, die ihn auffingen, wann immer er das Gefühl hatte, abzudriften. Doch die Zahl solcher Konstanten hielt sich extrem klein. Er hatte seine Leute,
mit denen er viel unternahm, die er aber nie an sich ranließ. Die zwei Schränke, die im Club arbeiteten, und ihn ständig verfolgten, als wären sie seine persönliche Security, machten
Alexander mehr Sorgen, als dass er ihnen vertrauen könnte, zumal sie des Öfteren schon wegen Körperverletzung in Untersuchungshaft waren. Dann gab es noch Sam und Rose, die sich oft genug
an ihn rangeschmissen hatten. An einem alkoholreichen Abend hatte er den vielen Bitten und dem durchgängigen Genörgel nachgegeben und mit beiden einen Dreier abgezogen. Es war in Ordnung,
es hatte was. Doch bei diesem einen Mal blieb es auch. Rose und Sam sollten nicht denken, er würde auf sie stehen. Denn eins hütete Alexander wie sein Augapfel: seine Freiheit. Oder
vielmehr wahrte er Distanz aus Selbstschutz.
Denn mehr Leute waren da nicht. Jedenfalls keine, an dessen Namen er sich erinnern könnte. Klar, umschwärmten ihn die Weiber, weil sie ihn attraktiv fanden. Und die Männer, weil sie sein
Geheimnis wissen wollten. Aber niemand war gut genug für den Charmeur in Persona.
Alexander war sich in seinen wenigen klaren Momenten selber nicht so sicher, woran seine Anziehungskraft lag, wenn er mit anderen Vampiren unterwegs war. An der Aura konnte es nicht
liegen, zumal er nicht mal ansatzweise ein Reinblütler war. Vielleicht lag es also an seinen eisblauen Augen, in denen bisher jeder versunken war. Oder am onyxfarbenden Haar?
Möglicherweise auch an seinem Körper, den er penibel pflegte und trainierte. Täglich, noch vor der Schule, hob er sich auf seine Trainingsgeräte in seiner Wohnung und hob so viel er
konnte; ganz gleich wie viel er am Vorabend getrunken oder geraucht hatte. So kam es auch schon vor, dass er angetrunken in die Schule torkelte, nachdem er betrunken trainiert hatte und
illegaler Weise Auto gefahren war.
Doch egal wie illegal seine Handlungen auch sein mögen, er achtete gewissenhaft darauf, dass das, was er im Club tat, auch dortblieb. Niemals würden seine Eltern von seinen Drogen- und
Weiberexzessen erfahren. Doch selbst wenn, würden sie ihn schon rausreißen. Egal, was er angestellt hätte – es wäre mit Geld wieder glatt zu bügeln. Geld spielte eben doch eine große
Rolle. Es ermöglichte ihm diesen Lebensstil, den er niemals missen wollen würde. Der ihm noch viel zu sehr am Herzen lag, als könne er ihn aufgeben.
Doch auch das ganze Geld, der Ruhm, die Feierei konnten ihn nicht nach den letzten Geschehnissen aufmuntern. Er fühlte sich … leer.
»Heute so niedergeschlagen? Bist du nicht froh, wieder hier zu sein?«, plärrte die unangenehm hohe Stimme von Sam in seinem Ohr. »Hast ja viel erlebt da im Süden.«
Sie kicherte laut auf, während sie vor Alexander ihren BH richtete und dabei an ihren riesigen Brüsten fummelte. Doch Alexander starrte einfach nur müde in Richtung Schulgebäude. Es war
noch viel zu früh am Morgen und er wollte kein Gespräch mit dieser Frau führen. Stumm nippte er weiter an seinem Kaffeebecher und behielt dabei eine Hand in der Hosentasche. Auf einmal
wurde ihm kalt. Der Norden war wirklich merklich kühler geworden. Der Herbst brach ein und die Bäume ließen ihre Blätter fallen.
»Hörst du mir zu? Oder hast du heute wieder deinen "Keinen Bock" Tag?«, raunte Sam erneut in die Ohren des Schwarzhaarigen, der schließlich genervt den Blickkontakt erwiderte.
»Ich bin noch müde.«
Mehr als ein genervtes Seufzen kam nicht aus den rot glasierten Lippen. Schließlich drehte sich Sam um und ging zu ihrer Schwester, die bereits im Rauchereck der Schlägertypen stand.
Normalerweise würde Alexander ebenfalls dort stehen und mindestens zwei Zigaretten rauchen, um der Schmacht mitten im Unterricht zu entgehen. Doch heute war ihm nicht nach Rauchen.
Heute war ihm generell nicht nach diesen Leuten.
Ihm war nicht nach diesem Wetter.
Ihm war alles irgendwie scheiß egal.
»Kann man dich hier ansprechen oder kriegen wir eins aufs Maul?«, begrüßte ihn eine bekannte Stimme. Ein dunkles Kichern folgte, während Alexander sich langsam zu den Zwillingen umdrehte,
die Händchen haltend auf ihn zukamen.
Mit erhobener Augenbraue musterte er Hiro und warf den leeren Kaffeebecher in eine nahe gelegene Mülltonne. Statt auf seine doch sarkastische Frage einzugehen, nickte er Kiyoshi zu, der
ihn ebenfalls lächelnd ansah. »Lasst euch nicht erwischen.«
»Womit?«, hakte der hagere Mann nach und strich die langen Haare hinter das Ohr.
»Ihr seid immer noch Brüder. Das hier ist ein öffentliches Gebäude. Ist immer noch verboten, klar?«
»Klar«, brummte Hiro los und verdrehte die Augen; ließ seinen Bruder jedoch nicht los. »Heute nicht so gut drauf, hm?«
»Nicht so, nein …«, murmelte Alexander und steckte sich vor Verzweiflung doch noch eine Zigarette an. Verzweiflung? Er zitterte ein wenig, fühlte sich nicht gut. Ob er krank wurde? War
das überhaupt möglich?
»Mach dir nichts draus. Wir sind ja auch erst vor zwei Tagen wieder hier angekommen… Das braucht sicher seine Zeit, bis wir wieder auf den Beinen sind.« Kiyoshi lächelte den
Schwarzhaarigen dabei liebevoll an, um ihn aufzumuntern. Doch mehr als ein verletzter Blick kam nicht.
»Ihr seht ja schon wieder recht fit aus…«, bemerkte Alexander fast stimmlos und rauchte passiv-aggressiv seine Zigarette.
Es missfiel ihm, die Zwillinge so vertraut zu sehen. Zwar hatte er schon immer glückliche Paare abgrundtief gehasst, aber dieser Hass war ein anderer. Es war Missgunst. Oder Neid.
Kiyoshi verstummte schlagartig und schabte ein wenig mit dem Schuh über den Asphalt. Hiro hingegen bemerkte die drückende Stimmung um den Schwarzhaarigen und räusperte sich, um die
kurzweilige Stille zu überbrücken. »Na ja … wir haben jetzt eh ein anderes Fach als du, also gehen wir schon mal rein und lassen dich in Ruhe rauchen, okay?«, fragte Hiro recht
vorsichtig, da er Alexanders Gemüt nicht einschätzen konnte. Seine Reaktionen konnten von unglaublich frech bis hin zu extrem verletzend ausarten.
»Hast du die gleichen Fächer wie dein Bruder gewählt?«, fragte Angesprochener recht lustlos und hob nur eine Augenbraue.
Hiro nickte sofort. »Für ein Jahr mach ich da kein Geschiss draus.«
»Wenn du die Prüfungen denn auch schaffst, ja«, bemerkte Alexander spitz und konnte sich ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. »Siehst jetzt nicht so lerneifrig aus.«
»Danke auch«, keifte Hiro zurück und drücke Kiyoshis Hand ein wenig stärker; quetschte sie regelrecht in seinen Fingern. »Ich habe ja ein Genie in der Familie, dann wird da auch was auf
mich rübergeschwappt sein! Und wenn nicht, hilft er mir sicherlich, so weit er kann.«
»Natürlich!«, kicherte der andere Zwilling los und wusste sofort, dass er das Genie in der Familie sein sollte. Zuckersüß küsste er Hiro auf die Wange und bedankte sich für das
Kompliment. Alexander hingehen schnipste genervt den Zigarettenstummel weg und schlurfte wortlos mit beiden Händen in den Hosentaschen von den Zwillingen weg.
Dieses Glück.
Einfach widerlich.
Und es fraß ihn von innen auf.
Der Tag verlief so grausig, wie er es sich ausgemalt hatte. Heute Abend, so schwor er sich, würde er wieder feiern gehen. Vielleicht würde ihn das auf andere Gedanken bringen. Ein
bisschen Koksen oder so half meistens.
Als der Schultag endete und die Zwillinge häufiger mit ihm im Gang redeten als üblich – sich sogar mit einer Umarmung von ihm verabschiedeten –, wurden die Schwestern aufmerksam.
»Bist du jetzt mit denen befreundet?«, fragte Rose spitz, während sie bereits am frühen Abend einen Joint rauchte. Sie standen an ihrem üblichen Treffpunkt vor dem Rathaus in der
Altstadt, um gleich gemeinsam ins Crystals zu gehen. Alexander hatte sich selber eine Zigarette mit ordentlich Hasch gedreht und rauchte sie genüsslich, während er das Geplapper der
anderen soweit es ging ausblendete.
»Vielleicht«, gab er knapp zu verstehen und vermied jeglichen Augenkontakt.
»Was'n da eigentlich passiert?«
»Wo?«
»Im Süden! Du bist wie ausgewechselt! Total komisch! Und dann hängst du jetzt auch noch mit den Kabashis rum!«
Rose Worte stachen ein wenig in Alexanders Brust. Vielleicht war es auch die Einschuss-Narbe, die ihm als Erinnerung an den Vorfall geblieben war, und seitdem seine sonst perfekt glatte,
blasse Haut zierte.
»Ist eben viel passiert. Schweißt zusammen.«
Alexanders kühle Worte ließ Sam eine Augenbraue heben.
»Na, solange du jetzt nicht auch noch deinen geheimen Bruder suchst, um ihn zu nageln«, kicherte Sam auf einmal los, die sich den Joint von ihrer Schwester an die Lippen steckte. Die
anderen Leute, mit denen sie sich getroffen hatten, gingen bereits zum Club. Alexander sah ihnen knirschend hinterher. »Keine Angst. Ich bin definitiv ein Einzelkind.«
Die Stimmung im Crystals war wie immer atemberaubend gut. Trotzdem konnte sich Alexander nur schwer auf die laute Elektromusik und die Menschen konzentrieren. Immer wieder schwebte es in
seinem Kopf rum, dass Sam und Rose Recht hatten. Er hatte sich verändert. Normalerweise wäre er sofort zur Bar, hätte sich im ersten Rausch Schnäpse bestellt, um sie nacheinander
wegzukippen. Mit einem üblen Geschmack im Mund hätte er sich dann vom DJ ein bisschen Speed geholt und die Nacht durchgetanzt. Zwischendurch hätte er sich ein oder zwei Weiber geschnappt,
um sie zu vögeln.
Doch alles, was Alexander in seinem niedergeschlagenen Zustand hinbekam, war sich an die Bar zu setzen und ein Bier mit Schuss zu bestellen. Der Schuss bestand natürlich aus der geheimen
Zutat, die alle Vampire schätzten: Blut. Nie wäre er früher auf die Idee gekommen, sich ein Bier zu bestellen. Vielleicht zwischen den Schnäpsen mal, um nicht kotzend auf dem Klo zu
landen. Ansonsten war Bier für ihn das Getränk der armen Leute. Doch das Blut im Getränk stellte ihn ein wenig ruhiger, sodass er das Glas mit Wohlwollen trank.
Je länger er auf den Tresen des Clubs starrte und die Musik benebelnd auf ihn einhämmerte, desto trauriger wurde er. Was war nur geschehen? Er war mit einem Haar mit dem Leben
davongekommen; er müsste doch jetzt erkennen, wie wichtig alles um ihn herum war. Dass nichts selbstverständlich war. Dass er sein Leben auf die Reihe kriegen sollte, um es als das
wahrzunehmen, was es war: kostbar. Genau das sollte ihm alles zu denken geben. Alexander dachte nach, doch in seinem Kopf machte sich nur lautes Rauschen breit.
Bis ihn eine Dame von der Seite anquatschte und ihn aus den Gedanken riss.
»Hey, Alex. Hab gehört, du bist heute nicht so gut drauf?«, umgarnte sie ihn bereits mit ihren künstlichen Nägeln am Arm. Lange, braune Haare lagen gut gestylt auf ihren Schultern und
hoben ihr tiefes Dekolleté hervor. Natürlich musterte der Schwarzhaarige die runden Körperteile recht genau. Die Frau fuhr einfach säuselnd fort, als würde sie seine Blicke in ihrem
Ausschnitt fesseln wollen. »Soll ich dich ein bisschen verwöhnen? Wo du doch so eine anstrengende Zeit hinter dich gebracht hast?«
Alexander brummte nur kurz auf, trank weiter sein Bier und tat so, als hätte er das Angebot der Frau nicht gehört. Früher wäre das seine Masche gewesen: erst einmal so zu tun, als wäre er
nicht interessiert, wo er doch ziemlich genau wusste, dass er die Frau noch nageln würde. Doch ihr süßlicher Geruch, der einem Kaugummi ähnelte, lag ihm unangenehm in der Nase. Ihm war
nicht nach Sex. Jedenfalls nicht mit dieser Frau, die ihm so offensichtlich ihre Dienste anbot.
Und je länger er schwieg, desto auffordernder wurde die Dame.
»Alex, komm schon! Was ist denn los mit dir?«, kicherte sie und schlang einen ihrer dürren Arme um Alexanders Schultern. »Magst du mich nicht mehr?«
Nicht mehr, dachte der junge Mann, nippte weiter an seinem Bier und versuchte sich zwischen dem ganzen Gras, was er geraucht hatte, daran zu erinnern, ob er schon einmal das Vergnügen mit
dieser Frau hatte. Mit Sicherheit, dachte er, sonst würde sie kein so explizites "nicht mehr" verwenden. Doch erinnern konnte er sich nicht an sie. Generell hatte er so seine Probleme mit
exakten Erinnerungen an manche Abende.
Als wieder keine Antwort kam und Alexander nur stumm auf sein Bier starrte, die Frau nicht mal beachtete, schmunzelte sie auf.
»Wurde der große Alexander also doch zahm?«
Da wurde der Schwarzhaarige hellhörig. Die Frau beugte sich lasziv über seinen Arm, der auf der Theke der Bar ruhte, sodass ihre Brüste ihn fast vereinnahmten.
»Kaum zu glauben, dass du nicht mal antwortest«, wurde die Dame ungeduldig. Als Alexander auch darauf nichts antwortete, entriss sie ihm ihren Arm und streifte dabei recht aggressiv
seinen Hemdkragen.
»Bist du jetzt auch so ein braves Söhnchen geworden, das auf einem viel zu großen Geldhaufen mit einem noch größeren Stock im Arsch sitzt?«, spottete sie los und handelte sich einen bösen
Blick ein. Alexander musste viel Willenskraft aufbringen, die Dame nicht zu packen und ihr zugeschminktes Gesicht auf die Bartheke zu schlagen.
»Schnauze«, war alles, was Alexander durch die Lippen presste. Um weiterhin die Beherrschung zu wahren, stand er von der Bar auf und verließ das Geschehen so schnell er konnte. Die Dame
konnte von Glück reden, dass er erschöpft vom Tag war und ihr aus dem Weg ging, sonst hätte er sie noch verletzt. Alexander machte bei giftigen Bemerkungen über sein Ego keine halben
Sachen – auch nicht gegenüber Frauen.
Innerlich kochend durchstreifte er den Club mit seinem Bier, welches er schließlich hastig austrank und auf einer anderen Bartheke abstellte. Als er den Blick durch den Club streifen ließ
und die ganzen gut gelaunten Menschen um ihn vernahm, wurde ihm bewusst, dass er um den Alkohol nicht kommen würde. Gut, es war nicht seine Art, Frust wegzusaufen, aber dann sollte es
eben so sein.
Mit wieder etwas mehr Leben in seinen Augen bestellte er ein paar Shots und trank sie im Nu aus. Das Gras tat das Übrige. Sam und Rose kamen hin und wieder zu ihm an die Bar, tanzten
etwas und gingen wieder Männer abschleppen.
Und je länger Alexander über die Worte seiner seltsamen Begegnung nachdachte, desto verbitterter wurde er. Zahm? Er war alles andere als zahm geworden! Er war noch immer der Hengst im
Stall und das wollte er nicht nur den anderen, sondern auch sich selber beweisen.
Fast wie ein Jäger auf der Jagd schlich er durch den Tanzsaal und begutachtete die Frauen, wie sie aneinander rieben, tanzten und hier und da rumknutschten. Er schmunzelte bei dem
Anblick, als er eine Rothaarige und eine Blondine am Fummeln sah. Dieser Anblick gefiel ihm noch immer. Ein Hauch von Erleichterung streifte sein Gesicht.
Als er auf die beiden Damen zuging, die noch rege mit sich selber beschäftigt waren, konnte er nur das Gesicht der Blondine sehen. Sie war hübsch, schlank, groß und stark geschminkt.
Generell gefiel sie ihm; also beschloss er, sie für etwas Sex auf dem Klo auszuwählen. Da stand keine Frage im Raum, ob es auch wirklich funktionieren würde. Alexander, der Große, wurde
noch nie abgewiesen.
In dem Moment, wo er das Wort ergreifen wollte, um die beiden Damen zu begrüßen, bemerkte ihn die Blondine und grinste ihn etwas verlegen an. Wunderbar, dachte er, der Fisch hatte schon
vor dem ersten Wort angebissen. Doch ehe er die Blondine begrüßen konnte, drehte sich die Rothaarige um und grinste ebenfalls.
Ihre untere Lippe war gepierct. Nur ein einzelnes Piercing im Gesicht schmückte ihr etwas schiefes Lächeln.
Alexander musste für einen Moment die Luft anhalten.
»Du bist doch Alexander, oder?«, fragte die Blondine sichtlich betrunken und kicherte den fast einen Kopf größeren Mann an. Der hatte jedoch nur noch Augen für die Rothaarige, die ihn
stumm angrinste.
»Ja«, hauchte er fast tonlos und musterte starrend das Piercing. Im Grunde war die Frau nicht mal ansatzweise sein Geschmack, geschweige denn stand er auf Piercings, aber es erinnerte ihn
so stark an –
»Ich bin Karin«, fing die Rothaarige an zu sprechen, hielt Alexander die Hand hin und machte eine leichte Knicksbewegung. Zögerlich nahm er die schmale Hand an und schüttelte sie recht
freundlich. Sie war ein Mensch.
»Freut mich, Karin«, begann Alexander endlich Worte aus seinem Mund zu pressen. Sollte er das wirklich durchziehen? Seine eigenen Regeln brechen und mit einer absolut nicht attraktiven
Frau schlafen? Nur, weil sie …?
Die Blondine hielt Alexander ebenfalls ihre Hand hin und stellte sich vor. »Ich bin Ran.«
Doch die Namen hatte der Vampir schon im nächsten Moment wieder vergessen. Er war betrunken, die Damen waren betrunken, alle waren betrunken. Die Elektromusik wurde immer lauter und
schneller, sodass die Besucher des Clubs schneller, härter und lasziver miteinander tanzten.
Es fielen auch nicht viele Worte, bis er mit Karin anfing zu Shakern. Sie roch nicht gut, sie trug ein unvorteilhaftes Kleid und war generell nicht sehr schlank. Ran dagegen war die
typische Blondinen-Bombe, die seltsamerweise für Alexander uninteressant wurde. Wie mit Scheuklappen starrte er auf das Metall an Karins Lippe.
Alexander war sich selber nicht so sicher, wieso er Karin mitnahm. Wieso er an diesem Abend alle seine selbst aufgestellten Regeln brach und nicht nur eine für ihn unattraktive Frau
bezirzte, sondern sie auch noch mit zu ihm nach Hause nahm.
Betrunken torkelte er mit der Rothaarigen die Treppen in den dritten Stock hoch, um in die große Wohnung zu gelangen, in der Alexander alleine wohnte. Das Wohnhaus war nobel, modern und
wie nicht anders zu erwarten nur von reichen Leuten bewohnt.
Als er die Tür zu seiner Wohnung aufschloss, wankte er bereits gegen die Wand.
Wieso war die Wohnung dunkel?
Wieso machte nicht mal einer das Licht an und rügte ihn für die Dinge, die er tat?
Wieso interessierte es niemanden, was er da ständig mitmachte?
Karin zog sich bereits im Gang ungefragt aus. Sie warf ihre Sachen unkoordiniert zu Boden und führte Alexander an sich ran. Ihre kleinen, wenn auch wohlgeformten Brüste quetschten sich
gegen sein stramm anliegendes Hemd, welches ihre flinken Finger schnell von seinen Schultern streiften.
Ab jetzt wurde es routiniert. Alexander packte ihre Hüfte, hob sie hoch, als wäre sie ein Leichtgewicht. Alle Frauen mochten das. Wie eine Prinzessin behandelt zu werden, obwohl er ihnen
gleich das Gehirn rausvögeln würde.
In Gedanken versunken trug er die Frau bis kurz vor sein Schlafzimmer, wo er einige Sekunden mit sich rang, ob er diese Frau wirklich in sein Bett lassen sollte.
Doch seine Schlafzimmertür blieb geschlossen. Stattdessen öffnete er das kleine Gästezimmer, was sonst nur als Abstellkammer diente, und legte Karin auf das unbenutzte Bett. Sie kicherte
auf, hielt sich ihre langen, roten Haare aus dem Gesicht und räkelte sich nackt vor Alexander. Der Mann starrte regelrecht apathisch auf ihren Körper und fuhr mit den Händen an ihren
Oberschenkeln entlang.
»Und? Gefall ich dir?«, säuselte sie erotisch und fuhr mit den Fingern über seine Brust. So wie sie ihn anstarrte, wusste Alexander, dass es umgekehrt auf jeden Fall zutraf. Jeder
bewunderte ihn für seinen Körper. Bisher hatte er ihn auch gut gebrauchen können. Es machte das Abschleppen um einiges leichter.
»Mh«, brummte Alexander nur als Antwort und beugte sich zu der Frau vor. Liebevoll küsste er an ihrem Hals entlang; roch sofort das Blut unter ihren Adern. Doch er hatte vorhin durch
seinen Alkoholkonsum bereits genug getrunken. Außerdem roch sie nicht gut. Wahrscheinlich brütete sie eine Krankheit aus oder hatte sogar schon eine.
Wieso noch mal tat er sich das hier an? Wieso hatte er nicht die Blondine mitgenommen?
Doch als Karin lächelte und Alexander vorsichtig auf die Lippen küsste, erinnerte er sich wieder an den albernen Grund. Das Stück Metall rieb kühl gegen seine trockenen Lippen. Als er ihr
seine Zunge entgegenstreckte und ihren Mund mit Speichel benetzte, spürte er es immer wieder. Das Piercing. Die Erinnerung.
»Gib's mir, Baby.«
Die Worte klangen etwas seltsam in Alexanders Ohren, trotzdem tat er, wie verlangt. Alles um ihn herum drehte sich, doch stellte das für den Mann kein Problem dar. Sex ohne Alkohol gab es
fast nicht. Also kramte er routiniert ein Kondom aus seiner Hosentasche, stülpte es sich über und befeuchtete den Eingang der Frau recht großzügig mit Speichel. Diese stöhnte immer wieder
laut auf, genoss regelrecht die Berührungen des Vampirs. Seine Aura gab ihm abermals einen Vorteil und ließ Karin willig werden.
Erst, als er in ihr eindrang und die weiche Wärme um ihn spürte, seufzte er auf. Wie hatte er einen hochbekommen? Er fand Karin doch nicht mal attraktiv …
»Alex!«, stöhnte sie seinen Namen und bewegte sich im harten Rhythmus gegen den Mann.
Doch der Akt brachte ihm keine Freude. Es war anstrengend nicht an ihn zu denken.
An das Piercing.
An die Momente, in denen er genau so unter ihm lag und Alexanders Namen stöhnte. Nicht vor Lust, sondern vor Angst. Mit Tränen in den Augen. Blutverschmiert.
Alexander krallte sich an der Matratze fest, während er sich weiter in Karin bewegte. Die stöhnte laut auf, ließ sich nicht von der geistigen Abstinenz ihres Partners abbringen.
»Alexander!«, raunte sie abermals auf und schien ihrem Höhepunkt nahe zu sein.
Angesprochener fühlte seinen weiter abebben. Da war keine Lust. Da war nur Verlangen. Und zwar nicht nach dieser Frau, sondern nach den schwarzen Haaren. Nach dem natürlichen Lachen. Nach
den fürsorglichen Händen. Nach den Piercings.
Nach diesem beschissenen Metall in der Fresse dieses abgrundtief dummen und hässlichen Punks!
»Sorry«, raunte Alexander noch betrunken aus seinen Lippen, löste sich sofort von Karin und fiel mehr schlecht als recht vom Bett. Noch bevor die Frau etwas erwidern konnte, rappelte er
sich auf, ging schnellen Schrittes mit der Hose an der Hüfte hängend auf den Balkon und zündete sich eine Zigarette an. Flink streifte er das Kondom über sein längst erschlafftes Glied ab
und warf es in seinen Aschenbecher. Hastig rauchte er den Nikotinstängel und versuchte auf andere Gedanken zu kommen.
Doch selbst die Zigaretten erinnerte ihn an die gemeinsamen Momente. Alles, einfach alles, erinnerte ihn an die letzten zwei Wochen, die er voller Panik und Angst mit dem scheiß Menschen
verbracht hatte. Und als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, dachte er sogar beim Sex an ihn. Nicht einmal mehr betrunken konnte ihn eine Frau reizen. War es denn wirklich schon
so weit um ihn geschehen? Musste er sich eingestehen, dass die jüngsten Ereignisse mehr Wunden in sein Herz gerissen hatten, als gedacht?
Alexander blieb schweigend, ein wenig wankend, auf dem Balkon stehen. Karin hingegen konnte nicht ganz glauben, was passiert war, stand auf und folgte Alexander recht angewidert auf den
kleinen Balkon.
»Geht's dir noch gut? Einfach so mitten drin aufzuhören?!«, schnauzte sie den Vampir an und schnaubte aus, als sie keine Antwort erhielt. Schweigend rauchte Alexander weiter und starrte
auf die spärlich beleuchtete Straße vor seinem Haus.
»Hallo? Hast du dich so zugesoffen, dass du deinen Schwanz nicht mehr hochkriegst?«
»Geh.«
»Bitte?«
»Verschwinde!«, wurde Alexander im Nu lauter und zeigte mit der Zigarette in der Hand auf das Innere der Wohnung, wo sich der Ausgang befand.
Schnaubend und zeternd, sammelte Karin ihre Sachen ein und verschwand innerhalb von Sekunden aus Alexanders Wohnung. Bei ihrem Verschwinden schmiss sie noch eine Pflanze um, die mitsamt
Erde auf dem Boden landete und alles dreckig machte.
Alexander blieb schweigend auf dem Balkon und rauchte die zweite Zigarette in Folge.
War es der Alkohol oder die Nerven, die ihn in eine solche Situation gebracht hatten?
Ihn antriebslos machten?
Nach der zweiten Zigarette, schaute er auf sein Handy. Zwei Uhr.
Der Punk würde jetzt schlafen.
In Alexander drang ein Bedürfnis hoch, sich bei ihm zu melden. Doch er schrieb es dem Alkohol zu und unterließ es, eine SMS zu verfassen.
Als er das Handy wieder wegsteckte und in die warme Wohnung ging, wo er die Unordnung von Karin recht deutlich vernahm, zog er sich komplett aus und legte sich erschöpft in sein
Bett.
Vielleicht, so dachte der Vampir, gab es keinen Ausweg mehr und er müsse mit der Tatsache leben, dass er diesem einen Gedanken wie ein Verrückter hinterherlief und es unmöglich wurde, den
bisherigen Lebensstil weiterzuführen.
Diesem einen Gedanken, ihn zu knechten. Ihn zu sich zu holen. Ihn zu besitzen.
Ihn zu seinem Eigentum zu machen.
Ende Kapitel 1